Panorama des Alltags

Raumfügung_3

Projektinfos

Jahr: 2009

Studiengang:
Schmuckdesign

Betreuung:
Leyener, Annette, Prof.Wippermann, Andrea, Prof.

Teilnehmer*innen:
Anne Frenzel

Projektart:
Abschlussarbeit

 „Panorama des Alltags“

 

Betrachtungen alltäglicher Rituale und Strukturen

Die Balance zwischen Chaos und Ordnung, die alltägliche Mühsal ein Gleichgewicht herzustellen, das Ersinnen von Strategien und Strukturen prägt unseren Alltag und lässt uns überleben. Immer gleiche Handlungsabläufe geben Sicherheit, ermüden uns aber auch. Ein Jeder ist in seinem Alltag verwurzelt, hat seine eigenen Strategien, aus ihm herauszutreten und dem täglichen Einerlei zu entfliehen. Das Wie und Warum ist der Ausgangspunkt der Diplomarbeit von Anne Frenzel.

Mit ihrer gut recherchierten theoretischen Arbeit, hat sie sich ein Fundament geschaffen, über oberflächliche Betrachtungen und klischeehafte Analogien hinaus zu gelangen.

Neben Erkenntnissen aus Soziologie und Wahrnehmungspsychologie befragt sie Bekannte und Verwandte über deren Alltag und mögliche alltägliche, ritualisierte Handlungen, diesem temporär zu entgehen. Mit diesen individuellen Betrachtungen erdet sie die Theorie und verortet die Erkenntnisse in den Alltag.

Ihre eigene Erfahrung zur Alltagsbewältigung beschreibt sie in ihrer theoretischen Arbeit auf S.78:

„Der theoretische Strukturierungsprozess sowie der Entwurfsprozess waren begleitet von der Erfahrung des Chaos und dem schrittweisen Herstellen von Ordnung und Struktur...Ich begriff intensiv am eigenen Beispiel, dass jeder schöpferische Prozess eine Auseinandersetzung mit Chaos und Ordnung ist. Auch der Alltag ist nichts anderes...“

Hier fußt der gestalterische Ansatz:

die grafisch – räumliche Darstellung der Polaritäten Ordnung und Chaos,

die individuelle Ordnung und Strukturierung der Zeit und Umgebung und

die Zeit als Raumbegriff und Einteilung der Zeit in grundlegende Lebensbereiche.

Über eine Fotoreihe von verschiedenen Ordnungs- und Raumsituationen entwickelt die Diplomandin ein Grundmuster für drei verschiedene Ordnungsgrade. Sie findet dreidimensionale Strukturen, markiert die Konturen farbig und über die wiederholte Spiegelung in der Grundplatte erhält Anne Frenzel eine überraschende Metapher für Alltag und Individualität.

Die ersten vier Broschen "Raumfügung" – alle mit gleichgroßer Grundfläche – variieren in Gewicht und Ausdruck.

Nr.1 zeugt von einem fest gefügten, rationalisierten, fast erstarrten Alltagsrhythmus – das Korsett des Alltags ist ebenso das Gewicht der Brosche kaum erträglich. Obwohl die Diplomandin keine Wertung der einzelnen Ordnungssysteme vornehmen möchte, spricht diese Arbeit von der erdrückenden Last erstarrter Alltäglichkeiten.

Nr.2 und Nr.3 wirken leichter, verspielter und eröffnen tatsächlich ein Panorama des Alltags.

Ein weiter Ansatz ist die Arbeit mit der Linie, deren Spiegelung und Überlagerung drei unterschiedliche Linienmuster analog den Ordnungsmustern ergeben.

Die so entstandene Reihe „Stichcodierung“ arbeitet mit der Idee der Verschlüsselung von Alltagsinformationen. Es ergibt sich ein fein gesticktes, sternförmiges Muster auf dünner Seide. Indem sie aufgespannt ist zwischen zwei runden Silberrahmen, einem Stickrahmen gleich, nimmt die Arbeit Bezug auf weibliche Handarbeiten und Alltagsbewältigung.

Aber auch der Verweis auf die Anfänge der Kunstgewerbeschulen, in denen es Fachklassen für Kunstgewerbliche Frauenarbeiten gab, aus denen heraus sich die heutigen Fachrichtungen für Textil, Schmuck und Keramik entwickelten, ist interessant.

Die Verknüpfung moderner Zeichen der Kommunikation unserer heutigen Gesellschaft mit traditionellen Geschlechterrollen und die daraus sprechende feine Ironie machen die Reihe „Stichcodierung“ zu etwas Besonderem.

Mit der Reihe „Faltentektonik“ befreit sich Anne Frenzel von der goldschmiedischen  Enge des Handwerks und vertraut ganz der zarten Ausstrahlung der Porzellanreliefs. Dem Panorama abstrakter Landschaften gleich spiegeln die vielfältigen Verformungsmöglichkeiten der Porzellanfolie die große Bandbreite der Alltagsgestaltung wieder. Die Zerbrechlichkeit der Reliefe ist vergleichbar mit der Fragilität der Alltagsfassade. Durch zuviel Druck gerät das Material in Stress und zerbricht – Ähnliches kann im Alltag geschehen. Diese Analogie ist wichtig für das Verständnis dieser Arbeit.

 

 

Prof. Andrea Wippermann   Wismar, 29. Januar 2009

Faltentektonik_3
Faltentektonik
Raumfügung_1
Faltentektonik_2
Stichcodierung

Zurück