Normalerweise werden Designern und Designstudenten bestehende Probleme oder Bedürfnisse vorgelegt. Das Semesterprojekt UX Wismar setzte noch einen Schritt früher an: Die Studierenden sollten erst einmal ein Problem finden, bevor sie den Lösungsprozess starten.
Die angehenden Produktdesigner Josefine Peters und Niklas Maestele machten sich auf, fragten bei verschiedensten Institutionen und Unternehmen in der Hansestadt Wismar nach und stießen letztlich auf ein Problem bei der Wismarer Tafel, einer gemeinnützigen Hilfsorganisation, die nicht mehr verkaufbare Lebensmittel bei Industrie und Handel einsammelt und an Bedürftige verteilt.
Die Wismarer Tafel musste in ein anderes Gebäude umziehen und bat um Unterstützung in der Optimierung der bestehenden Arbeitsabläufe. Um diese Kennenzulernen, halfen Josefine und Niklas einen Tag in den alten Räumlichkeiten aus. Während Josefine bei der Ausgabe vor Ort unterstützte, war Niklas mit den Fahrern unterwegs, die die Lebensmittel von den Geschäften abholen und einzelne Bedürftige direkt versorgen. Bei Gesprächen mit den ehrenamtlichen Mitarbeitern sowie der Leitung der Wismarer Tafel und während der Arbeit dort erschloss sich für die Beiden ein umfassendes Bild der Abläufe und den Schwierigkeiten, mit denen es umzugehen galt. Während einiger Konsultationen und einem Gespräch mit Herrn Lohne, dem ersten Vorsitzenden der Wismarer Tafel wurde das für das Semesterprojekt zu bearbeitende Problem immer klarer: Ein neuer Sortiertisch sollte her!
Der Sortiertisch ist das Kernstück der Sichtung der Lebensmittel die bei der Tafel ankommen und an die Kunden ausgegeben werden, bzw. entweder in den Abfall, oder zu einem Bauern in der Umgebung gebracht werden, um dort an Tiere verfüttert zu werden. Am Tisch arbeiten bei maximaler Auslastung vier Ehrenamtliche. Die Kisten mit gespendetem Essen werden in die Mitte des Tisches gestellt. Dann beginnt die Sortierung. Genießbares kommt in die Kisten zur Verteilung, Abfälle kommen in gelbe Säcke oder Biomüll-Abfallkisten, bzw. Kisten, die zum Bauern gebracht werden. Dabei werden ständig Kisten über den Tisch geschoben und es wird auch mal auf der Tischoberfläche etwas mit einem Messer abgeschnitten. Der Tisch, der bis dato genutzt wurde bestand aus einer ca. 4qm großen Platte mit Kunststoffbeschichtung, sowie einem handelsüblichen Tischgestell. Die Tischoberfläche, wie Josefine und Niklas sie vorfanden hatte starke Spuren der Abnutzung von Kisten und Messern, außerdem boten die rechten Winkel an der Tischplatte ein hohes Stoßpotential, wenn es mal hektischer bei der Tafel wurde. Diese Probleme und Hindernisse wurden also Hauptbestandteil des Anforderungskatalogs, den Josefine und Niklas für den neuen Sortiertisch erstellten.
Nach der Definition der Anforderungen und weiteren Absprachen mit der Wismarer Tafel begann der Entwurfsprozess, sowie die Suche nach Sponsoren für das Projekt. Josefine und Niklas telefonierten, schrieben E-Mails, führten persönliche Gespräche mit diversen Firmen, machten Skizzen und Renderings und bauten Vormodelle aus Pappe. Nach und nach entwickelte sich ein immer stimmigeres Bild für den entstehenden Sortiertisch.
Die neue Tischplatte sollte aus Edelstahl sein, so wie man es aus Großküchen kennt. Die Form der Platte sollte für den Sortierprozess und die Reichweiten und Greifräume der ehrenamtlichen Helfer optimiert sein und gleichzeitig noch die Abfallentsorgung vereinfachen. Erster großer Unterstützer für das Projekt wurde die Firma Baltic Metall in Grevesmühlen. Sie erklärten sich bereit, den Edelstahl sowie dessen Konturschnitt durch einen Laser zu spendieren. Dadurch wurde der Grundstein für die Umsetzung des Tisches gelegt.
Die 2,5mm starke Edelstahlplatte sollte an der Unterseite durch eine 28mm starke Siebdruckplatte (gesponsert von Janus und Goertz Möbelmanufaktur) verstärkt werden, um auch ohne aufwendige Unterkonstruktion stabil zu sein. Edelstahl und Siebdruck verklebten Josefine und Niklas dann in Eigenarbeit mit einem von der Firma Würth gesponserten Spezialkleber. Für eine einfachere Entsorgungssituation am Tisch sponserte wieder die Firma Baltic Metall Fallrohre aus Edelstahl, die bündig abschließend in die Tischplatte eingehängt werden können, um so ein Anheben des Abfalls überflüssig zu machen.
Nun war die Tischplatte so gut wie komplett – es fehlte noch die Unterkonstruktion, das Tischgestell. Dieses musste sehr stabil sein, gleichzeitig unempfindlich gegen Wasser und mit möglichst wenig Materialaufwand auskommen. Auf der Suche nach einem Betrieb, der zum Beispiel Stahl in diesem Format bearbeiten und zusammenfügen könnte, fassten sie – in Wismar nicht verwunderlich – die MV-Werften ins Auge. Nach einem Vor-Ort-Termin im Wismarer Werftgebäude war klar: das Tischgestell wird stabil, gefertigt aus Schiffsstahl, von erfahrenen Mitarbeitern der Werften zusammengeschweißt und lackiert mit Bootslack – man könnte es also auch 10 Jahre unbedenklich in der Ostsee liegen lassen.
Der Tisch nahm immer mehr Gestalt an. In den Werkstätten der Hochschule Wismar schliffen, polierten, schraubten, klebten und feilten Josefine und Niklas noch an den letzten Kleinigkeiten. Als letzter Sponsor trat, kurz vor Fertigstellung des Tisches die Wismarer Firma OTM – Oberflächentechnik Marin auf den Plan. Dank ihrer Hilfe konnten die Müllentsorgungs-Fallrohre mittels Pulverbeschichtung farblich, je nach Abfall-Art kodiert werden, sowie eine MDF-Platte, welche als Abstellmöglichkeit unterhalb der Tischplatte am Tischgestell fixiert wurde, durch eine Pulverbeschichtung beständig gemacht werden – als Gegenleistung halfen Josefine und Niklas bei den Vorbereitungen für den Tag der Offenen Tür, mähten Rasen, jäteten Unkraut und fegten die Werkstatt.
Die Zentralwerkstatt der Hochschule fertigte von Josefine und Niklas gestaltete Sponsorenschilder für den Sortiertisch an und die CNC-Fräse der Holzwerkstatt wurde genutzt, um kleine Toolbars, also Aufbewahrungsmöglichkeiten für die am Tisch genutzten Werkzeuge – Schere, Messer, Taschentuch – herzustellen. Ebenfalls von Baltic-Metall gelaserte Edelstahlbleche wurden zu Plastiktüten- oder auch Küchenrollen-Halterungen an der Unterseite der Tischplatte angebracht.
Insgesamt schätzen Josefine und Niklas den Materialwert des entstandenen Tisches auf ca. 3000€. Die Umsetzung des Projektes wäre ohne großzügige Hilfe der genannten Sponsoren nicht möglich gewesen.
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